Die Nyingma Tradition des tibetischen Buddhismus ist die älteste der vier großen Traditionen Nyingma, Kagyü, Sakya und Gelug.
Die Nyingma Traditon oder „Alte Schule“ bezieht sich auf die ursprünglichen Übersetzungen der Lehren Buddhas ins Tibetische, die bis zur Zeit des indischen Übersetzers Smritijnanakirti gegen Ende des 10. Jahrhunderts gemacht wurden.
Von zentraler Bedeutung für die Nyingma Tradition ist die außergewöhnliche Figur des indischen Meisters Padmasambhava , dem Lotusgeborenen, von den Tibetern auch Guru Rinpoche, Kostbarer Lehrer genannt:
Im 8. Jahrhundert nach Christus lud der tibetische König Thrisong Detsen ihn und den Abt Shantarakshita ein um den Buddhismus im Land des Schnees zu lehren.
Padmasambhava verweilte, so ist es überliefert, über ein halbes Jahrhundert in Tibet. Er durchreiste dabei das ganze Land, währenddessen er die ganze Zeit lehrte und praktizierte. Guru Rinpoche betonte vor allem die tantrischen Aspekte des Buddhismus. Durch seine Macht und Verwirklichung bezähmte er darüberhinaus die feindseligen Kräfte, die der Verbreitung der Lehren Buddhas im Wege standen.
So wurde das ganze Land Tibet von der großen Segenskraft Guru Rinpoches durchdrungen und das heilige Dharma beeinflusste auf tiefe Weise die Kultur und die Lebensart der Tibeter. Die Lebenskraft und die Kontinuität des tibetischen Buddhismus über die Jahrhunderte bis heute basiert so auf der tiefen Liebe und dem Mitgefühl Padmasambhavas.
Auf Padmasambhava und Shantarakshita geht die Gründung der ersten Klosteruniversität Samye zurück. Hier entfaltete sich nicht nur eine rege Übersetzungstätigkeit der buddhistischen Texte ins Tibetische, was von entscheidender Bedeutung für die Verbreitung der Lehre war, sondern es wurden auch die ersten sieben Tibeter als Mönche ordiniert.
In der Höhle von Chimphu lehrte Guru Rinpoche das geheime Mantrayana für die verwirklichten 25 Yogis von Tibet, den Mahasiddhas, zu denen König Thrisong Detsen, die Prinzessin Yeshe Tsogyal und Vairochana gehörten.
Für Millionen von Praktizierenden über die Jahrhunderte hinweg bis zum heutigen Tag ist Padmasambhava die Quelle ihrer Realisation und auch die Inspiration für das Herz ihrer buddhistischen Praxis.
Die Lehren der Nyingma Tradition sind unterteilt in die lange Übermittlungslinie – Kama – und die kurze Übermittlungslinie – Terma. Kama ist die Übertragung der Lehren von Meistern zu Schülern, während die Termas, die „verborgenen Schätze“ eine Besonderheit des tibetischen Buddhismus darstellen.
Termas sind materielle sowie spirituelle Schätze, die von Guru Rinpoche und Yeshe Tsogyal in die Erde oder in den Geist von Schülern verborgen wurden. Diese Termas werden zum geeigneten Zeitpunkt von verwirklichten Meistern, den sog. Tertöns, Kraft ihre Verwirklichung gehoben.
Hierzu schreibt Tulku Thondup: „Um die tiefgründigen Lehren und heiligen Ritualobjekte und Statuen des Tantra davor zu bewahren, in der näheren Zukunft vermischt, verwässert oder verloren zu gehen, und um deren Segenskraft für künftige Schüler frisch zu halten, verbargen Guru Rinpoche und Yeshe Tsogyal die Termas.“
Die Erdtermas (sa ter) beinhalten physische Objekte, während die Geisttermas (gong ter) von dem Tertön in seinem Geiststrom entdeckt werden.
So wurde das Entdecken von Geisttermas in vielen Fällen von dem Hören symbolischer Worte oder Klänge in Visionen ausgelöst. Darüber hinaus gibt es noch Reine Visionen (dak nang) – das sind Lehren, die von den Meistern direkt in mystischen Erfahrungen von Gottheiten oder Gurus empfangen wurden.
Typische für die Nyingma Schule ist die Unterteilung der Lehren in die neun „Yanas“ oder Fahrzeuge. Diese sind:
- Das Shravaka Yana
- Das Pratyekabuddha Yana
- Das Bodhisattva Yana
- Das Yana des Kriya Tantra
- Das Yana des Charya Tantra
- Das Yana des Yoga Tantra
- Das Yana des Mahayoga
- Das Yana des Anuyoga
- Das Yana des Atiyoga
Die Tantras, die nur in der Nyingma Tradition vorkommen, sind die drei inneren Tantras von Mahayoga, Anuyoga und Atiyoga oder auch Dzogchen.
Die Nyingma Schule umfasst zwei Sanghas: die monastische der Mönche und Nonnen und die der yogischen Gemeinschaft der Laienpraktizierenden.
Die monastische Tradition geht auf Rahula, den Sohn Buddha Shakyamunis zurück und wurde von Abt Shantarakshita in Tibet eingeführt. In Tibet gab es mehr als Tausend Nyingma Klöster – die Mutterklöster sind Dorje Drak und Mindroling in Zentraltibet und Katok, Palyul, Dzogchen und Shechen in Kham (Osttibet). Die Tradition verbreitete sich darüberhinaus in weiten Teilen der Himalaya-Region, so in Bhutan, Sikkim, Nepal und Ladakh.